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Das Problem mit den „Alpha-Males“

Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Eigentlich wollte ich, mit einem guten Spruch, eher humoristisch einsteigen. Aber je länger ich mich mit dem Thema auseinandersetze und selber auch im Dating aktiv bin, desto schrecklicher wird es.
Grade gibt es wieder eine Welle an Podcasts und YouTube-Videos zum Thema „Alpha-Males“. Männer, die anderen Männern erklären, wie sie sich zu verhalten haben, um Frauen, sagen wir mal, für sich zu gewinnen.
Das Problem ist, dass das Konzept der »Alpha-Males« oft eng mit toxischer Männlichkeit verbunden ist und zu falschen Vorstellungen über Frauen beiträgt. Die Idee des Alpha-Mannes stammt ursprünglich aus der Ethologie, wo sie das dominanteste Individuum in einer sozialen Gruppe beschreibt. In Bezug auf menschliche Interaktionen hat sich dieser Begriff jedoch oft zu einem problematischen Stereotyp entwickelt, der toxische Männlichkeitsnormen verstärken kann. Im Grunde basiert dieses Konzept auf ein paar einfachen, meiner Meinung nach unfassbar problematischen Sicht- und Verhaltensweisen auf beide Geschlechter. Im Folgenden werde ich diese kurz erklären.
Dominanz und Überlegenheit: Das Konzept des Alpha-Mannes betont oft Dominanz, Führung und Überlegenheit über andere. Diese Eigenschaften können dazu führen, dass Männer glauben, dass sie ihre Männlichkeit durch Kontrolle und Dominanz, insbesondere gegenüber Frauen, beweisen müssen.
Objektifizierung von Frauen: Das Streben nach Alpha-Status kann dazu führen, dass Frauen auf den Status von Trophäen oder Objekten reduziert werden, die erobert werden müssen, um die Männlichkeit zu beweisen. Dies fördert die Objektifizierung und sexualisiert Frauen auf eine Weise, die ihren eigenen Wert und ihre Individualität negiert.
Aggressivität und Wettbewerbsdenken: Alpha-Männchen-Konzepte fördern oft ein wettbewerbsorientiertes Denken, bei dem Männer einander herausfordern und um Status kämpfen. Dies kann zu aggressivem Verhalten führen, vornehmlich gegenüber Frauen, die als Konkurrenz oder als Mittel zur Steigerung des eigenen sozialen Rangs betrachtet werden.
Einschränkende Geschlechterrollen: Das Konzept der Alpha-Männchen neigt dazu, traditionelle und einschränkende Geschlechterrollen zu verstärken, bei denen Männer als stark und dominant gelten, während Frauen auf untergeordnete und unterstützende Rollen beschränkt werden.

Unabhängige Frauen sind „Boss Babes“ und zickig und werden nie eine langanhaltende Beziehung haben. Wenn Frauen mehr Geld verdienen, sind sie ja nicht auf den Mann angewiesen. Wenn der Mann Gefühle zeigt, verliert sie das Interesse, weil sie ihn natürlich für eine „Heulsuse“ hält. Das könnte man hier natürlich weiterführen, aber das ist ein Fass ohne Boden.

Wichtig ist, dass diese selbsterklärten „Alphas“ scharf von der wissenschaftlichen Gemeinschaft kritisiert werden und auch die Tierforschung, aus der die Begrifflichkeit ja stammt, diese für umstritten hält. Im Kontext von Menschen ist die Anwendung des Konzepts noch problematischer, da menschliches Verhalten viel komplexer ist als das von Tieren in sozialen Gruppen. Infrage gestellt werden folgende Punkte, wieder kurz dargestellt.
Soziale Hierarchien sind nuancierter: Forschung im Bereich der Anthropologie und Psychologie hat gezeigt, dass menschliche soziale Strukturen komplexer sind als die simplifizierte Vorstellung einer linearen Alpha-Hierarchie. In menschlichen Gemeinschaften spielen Kooperation, Empathie und soziale Intelligenz eine wichtige Rolle, und es gibt oft nicht nur einen »dominanten« Individuen-Typ.

Kooperation als evolutionärer Vorteil: Es wird argumentiert, dass Kooperation und die Fähigkeit zur Zusammenarbeit für die menschliche Evolution von größerer Bedeutung waren als reine Dominanz. Menschen haben sich in sozialen Gruppen entwickelt, in denen die Koordination von Aktivitäten und die Unterstützung anderer Mitglieder für das Überleben entscheidend waren.
Vielfalt menschlichen Verhaltens: Menschen zeigen eine breite Palette von Verhaltensweisen, die nicht einfach in eine »Alpha«- oder »Beta«-Kategorie eingeteilt werden können. Unterschiedliche Kontexte erfordern unterschiedliche Fähigkeiten, und es gibt keinen einzelnen, vorherrschenden Archetyp für das menschliche Verhalten.
Verändernde Geschlechterrollen: Forschung im Bereich der Geschlechterstudien betont die Dynamik und Vielfalt von Geschlechterrollen. Das Festhalten an einem rigiden Konzept des Alpha-Mannes kann die Flexibilität und Vielfalt menschlicher Identitäten und Beziehungen negieren.
Zusammenfassen kann man also sagen, dass die Wissenschaft und die akademischen Kreise dieses Hierarchiesystem bei Menschen für absolut vereinfacht und nicht stichhaltig.

Alle Argumente und Sichtweisen sind im Grunde absolut toxisch. Klar, ist das wieder ein neues Modewort, mit dem um sich geworfen wird, aber das Konzept von toxischer Männlichkeit prangert zumindest Geschlechterstereotype an, die man dringend reflektieren und aufbrechen sollte. Auch hier nochmal zur Erklärung, toxische Männlichkeit bezieht sich auf bestimmte gesellschaftliche Normen und Erwartungen, die Männern oft auferlegt werden und die schädlich für sie selbst sowie für andere sein können. Es ist wichtig zu betonen, dass nicht alle Männer toxische Verhaltensweisen zeigen, und dass toxische Männlichkeit nicht bedeutet, dass alle Aspekte der Männlichkeit negativ sind. Es bezieht sich vielmehr auf eine bestimmte Art von übertriebenem, schädlichem Verhalten, das oft mit traditionellen Vorstellungen von Männlichkeit verbunden ist.

Das Fatale ist der Zusammenhang dieser Sichtweisen und Gewalt an Frauen. Die oben schon aufgeführten Punkte, Dominanz, Kontrolle, Unterdrückung von Emotionen, Sexualisierung und Objektifizierung stehen im direkten Zusammenhang mit An- und Übergriffen. Aber hier auch nochmal schön geordnet und erklärt:
Dominanz und Kontrolle: Toxische Männlichkeit fördert oft den Glauben, dass Männer dominant und kontrollierend sein sollten. Dies kann zu Übergriffen führen, da einige Männer versuchen können, ihre Macht über Frauen auszudrücken und zu festigen.

Aggressivität und Gewalt: Die Vorstellung, dass Männer stark und unempfindlich sein sollten, kann zu aggressivem Verhalten und Gewalt führen. In einigen Fällen können Männer versuchen, ihre Männlichkeit durch physische Übergriffe gegen Frauen zu beweisen.
Unterdrückung von Emotionen: Toxische Männlichkeitsnormen können dazu führen, dass Männer ihre Emotionen unterdrücken, insbesondere solche, die als »schwach« oder »weiblich« gelten. Dies kann zu Frustration und Wut führen, die sich dann in gewalttätigem Verhalten gegenüber Frauen entladen können.
Sexualisierung und Objektifizierung: Toxische Männlichkeit kann dazu führen, dass Frauen auf rein sexuelle Objekte reduziert werden. Dies kann zu sexuellen Übergriffen führen, da einige Männer Frauen als Besitz oder als Mittel zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse betrachten.
Belästigung und Kontrollverhalten: Toxische Männlichkeit kann sich in belästigendem Verhalten manifestieren, sei es auf der Straße, am Arbeitsplatz oder online. Das Bedürfnis nach Kontrolle und Dominanz kann dazu führen, dass Männer Frauen belästigen, ihre Bewegungen überwachen oder versuchen, ihre Handlungen zu steuern.
Verleugnung von Einvernehmlichkeit: Ein falsches Frauenbild kann dazu führen, dass einige Männer glauben, dass Frauen implizit Einverständnis für sexuelle Handlungen geben oder dass ihre Ablehnung ignoriert werden kann. Dies kann zu nicht einvernehmlichem Sex oder sogar zu Vergewaltigung führen.

Natürlich ist es wichtig zu betonen, dass positive, gesunde Männlichkeitsbilder die Empathie, Respekt und Gleichberechtigung fördern. Die Förderung von Geschlechtergleichheit und die Überwindung toxischer Männlichkeitsnormen sind entscheidende Schritte, um Übergriffe und Angriffe gegen Frauen zu bekämpfen. Entscheidend dafür ist, Geschlechterrollen zu hinterfragen, Gleichberechtigung zu fördern und Bildung zu betreiben, die Respekt, Einvernehmlichkeit und Empathie betont. Es ist wichtig, eine Kultur zu schaffen, die gesunde Beziehungen und eine positive Anerkennung der Vielfalt der Geschlechteridentitäten unterstützt.
Aber über allen schwebt die Wolke der zwischen diesen Sichtweisen und der Gewalt an Frauen, denn „[j]eden dritten Tag geschieht in Deutschland ein Femizid – weltweit sogar alle elf Minuten. Alleine 2021 wurden in Deutschland 113 Frauen von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet, wie aus Zahlen des Bundeskriminalamts hervorgeht“(Quelle: https://www.bpb.de/themen/gender-diversitaet/femizide-und-gewalt-gegen-frauen/). Diese Sichtweisen fördern eine Kultur und ein Klima, in denen Übergriffe und Fehlverhalten akzeptabel angesehen und auch gerechtfertigt werden. Auch hier wieder alle Punkte ordentlich aufgeführt und erklärt.
Objektifizierung und Entmenschlichung: Toxische Männlichkeitsnormen, die Frauen auf ihre äußere Erscheinung reduzieren oder sie als untergeordnete Objekte betrachten, können zu einer Entmenschlichung führen. In einer Umgebung, in der Frauen nicht als gleichwertige Individuen mit eigenen Rechten und Bedürfnissen gesehen werden, wird die Schwelle für Gewalt möglicherweise gesenkt.

Kontrollverhalten und Besitzansprüche: Toxische Männlichkeitsnormen fördern oft das Bedürfnis nach Kontrolle und Dominanz. In Beziehungen kann dies zu Besitzansprüchen führen, bei denen Männer versuchen, Frauen zu kontrollieren. Wenn Frauen sich diesem Kontrollverhalten widersetzen oder versuchen, sich von einer schädlichen Beziehung zu lösen, kann dies zu Gewalt eskalieren, einschließlich Femizid.
Rollenklischees und Geschlechterungleichheit: Toxische Männlichkeitsnormen unterstützen oft traditionelle Geschlechterrollen, bei denen Männer als überlegen und Frauen als untergeordnet betrachtet werden. Diese Hierarchien können zu einer Kultur der Ungleichheit beitragen, in der Frauen als weniger wertvoll oder weniger wichtig angesehen werden. Dies schafft eine Umgebung, in der Gewalt gegen Frauen als akzeptabel betrachtet wird.
Ehrenkultur und gesellschaftlicher Druck: In einigen Kulturen wird das Konzept der »Ehre« mit dem Verhalten von Frauen in Verbindung gebracht. Toxische Männlichkeitsnormen können dazu führen, dass Männer glauben, dass sie die Ehre ihrer Familie oder Gemeinschaft schützen müssen, indem sie Kontrolle über weibliches Verhalten ausüben. In extremen Fällen kann dies zu Ehrenmorden und anderen Formen von Femizid führen.

Man kann also sehen, dass der Zusammenhang zwischen toxischen Männlichkeitsbildern, Alpha-Males und Gewalt an Frauen nicht von der Hand zu weisen ist. Ich finde dies mehr als besorgniserregend. Wenn man bedenkt, welche Reichweite „Alphas“ auf YouTube haben und wie schnell sich, gerade junge Leute mit – nicht falsch verstehen – wenig sozialen Kontakten und wenig Anerkennung, beeinflussen lassen, Stichwort Radikalisierung, ist das ein Problem, das wir dringend angehen müssen. Was dagegen helfen kann:
Bildung und Bewusstseinsbildung: Bildung ist entscheidend, um toxische Männlichkeitsnormen, Geschlechterstereotype und Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Schulen und Gemeinschaften sollten Programme einführen, die das Bewusstsein für Geschlechtergleichheit fördern, gewaltfreies Verhalten lehren und auf die schädlichen Auswirkungen toxischer Männlichkeitsnormen aufmerksam machen.
Stärkung von Frauen und Mädchen: Maßnahmen zur Stärkung von Frauen und Mädchen, einschließlich Bildung und wirtschaftlicher Unabhängigkeit, können dazu beitragen, ihre Position in der Gesellschaft zu stärken und das Risiko von Gewalt zu reduzieren. Frauen sollten unterstützt werden, um selbstbewusste Entscheidungen über ihre Leben treffen zu können.
Gesetzliche Maßnahmen: Die Implementierung und Durchsetzung von Gesetzen, die Gewalt gegen Frauen verbieten und bestrafen, ist entscheidend. Dies umfasst Maßnahmen wie Schutzanordnungen, Strafverfolgung von Tätern und spezifische Gesetze zur Bekämpfung von Femizid.
Förderung von Geschlechtergleichheit: Die Förderung von Geschlechtergleichheit in allen Bereichen der Gesellschaft, einschließlich Politik, Wirtschaft und Bildung, trägt dazu bei, die Wurzeln von toxischen Männlichkeitsnormen anzugehen. Es ist wichtig, gleiche Chancen und Rechte für Frauen und Männer zu schaffen.
Schulung von Fachleuten: Fachleute in den Bereichen Gesundheit, Sozialarbeit, Recht und Strafverfolgung sollten spezielle Schulungen erhalten, um sensibel auf Fälle von häuslicher Gewalt und Femizid zu reagieren. Dies kann die Früherkennung und angemessene Unterstützung für Opfer verbessern.
Förderung gesunder Beziehungen: Programme, die darauf abzielen, gesunde Beziehungsmodelle zu fördern, können dazu beitragen, Gewalt zu verhindern. Dies schließt Aufklärung über Einvernehmlichkeit, Respekt und Kommunikation ein.
Community-Intervention: Gemeinschaften sollten Mechanismen für Intervention und Unterstützung schaffen. Dies kann Unterstützung für Opfer, sichere Anlaufstellen und lokale Initiativen zur Förderung von Gleichberechtigung umfassen.
Internationale Zusammenarbeit: Die Bekämpfung von Femizid erfordert oft internationale Zusammenarbeit. Der Austausch bewährter Praktiken und die Sensibilisierung für das Problem auf globaler Ebene können dazu beitragen, die Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen zu verbessern.

Konsens ist kein Konfekt

10. Dezember 2023